Im Widerschein des Ich. Vier Künstler der Moderne auf der Suche nach dem religiösen Grund. Max Slevogt, Max Beckmann, Karl Schmidt-Rottluff, Oskar Kokoschka

Die Stiftung Christliche Kunst widmet ihre aktuelle Ausstellung vier prominenten Künstlern der Moderne des 20. Jahrhunderts: Max Slevogt. Max Beckmann. Karl Schmidt-Rottluff. Oskar Kokoschka.

Bei aller Verschiedenheit ihrer Stilmittel und Sehweisen teilen oder reflektieren sie die Erfahrung eines grundstürzenden Krieges. Existentielle Krisen und Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche markieren die historischen Kontexte, in denen die hier gezeigten selten zu sehenden Bildwerke dieser Präsentation entstehen.

Die Ausstellung verspricht einen spannenden Einblick in die künstlerische Welt von vier Künstlern, die Im Sinne einer Suchbewegung der Tragfähigkeit biblischer Botschaften und christlicher Ikonografie auf den Grund gehen. Für die Betrachter steht zur Diskussion, wie die Blätter dieser Künstler heute zu uns sprechen, in einer Zeit, in der die Gespräche über Krieg und Frieden angesichts der aktuellen Ereignisse in der Ukraine und im Nahen Osten für viele Menschen den Alltag prägen.

Die in der Ausstellung präsentierten grafische Blätter gehören zum Kernbestand der Sammlung der Stiftung Christliche Kunst Wittenberg.


Christliche Themen in der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts.Rede zu Eröffnung am 24. März 2024

Bernd Wolfgang Lindemann

In der Tageszeitung Die Welt erschien kürzlich ein Artikel, der die anhaltenden Erfolge von Passionsspiele zum Inhalt hatte. Den Autor verwunderte, dass in einer zunehmen säkularen Welt das Echo dieser biblischen Erzählung noch immer nachhallt, und sogar zunehmend laut.

Ähnliche Verblüffung könnte die Ausstellung der Stiftung für Christliche Kunst in Wittenberg hervorrufen. Warum dies enorme Interesse der Künstler an dieser Thematik, zumal im frühen zwanzigsten Jahrhundert, einer Zeit also, die durchaus nicht für allgemeine Frömmigkeit bekannt ist, eher für Kritik, für Skepsis, ja sogar für Ablehnung herkömmlichen Gläubigseins? Es war nicht erst der Weltkrieg, der die Frage der Theodizee einmal mehr zu stellen provozierte ‒ bereits die Jahre davor brachten künstlerische und somit auch geistige Strömungen hervor, die mit revolutionärem Elan an den Grundfesten vermeintlich festgefügter Verabredungen rüttelten: Ein Werk von Max Beckmann in dieser Ausstellung zeigt dies deutlich.

Die Sammlung der Wittenberger Stiftung, durchgehend eine Kollektion graphischer Techniken, ist im besonderen Maße prädestiniert dazu, das Themenfeld Christliche Motive bei Künstlern des frühen zwanzigsten Jahrhunderts zu veranschaulichen: Damals gab die Druckgraphik in ihren unterschiedlichen Techniken ‒ Holzschnitt, Radierung, Lithographie ‒ den Künstlern ein Medium, ihre Bilderfindungen einem breiten Publikum zu erschwinglichen Preisen anzubieten. Und noch eines fällt bei Besichtigung der Ausstellung auf: Insbesondere Mappenwerke, die ein Thema gleich in einer Folge von Darstellungen bearbeiteten, waren weit verbreitet; sie wurden von Verlagen oder jenen Galerien in den Markt gebracht, bei denen Künstler und Künstlerinnen unter Vertrag standen.

Immer wieder begegnet die Passion als Thema der kleinformatigen Bilder, die Kreuzigung ohnehin, aber auch das leere Grab (Slevogt) oder die Auferstehung Christi, mit der Fahrt in den Limbus, um die Gerechten des Alten Testaments zu erlösen (Kokoschka).

Wenn auch auf diesen Blättern womöglich Christus als Erlöser, als Befreier der sündhaften Menschheit in Zweifel gestellt sein mag: in jedem Fall ist er hier verstanden als Inbegriff des randständigen Menschen, als Identifikationsfigur der Künstler, die solches auch an sich erlebten oder geradezu einforderten. Dass dieser Christus in der Passion zudem ein besonders grausames Martyrium erlitt, das jedoch für den Triumph der Auferstehung unerbittliche Bedingung war, mag für diese Kunst der Moderne zusätzliches Faszinosum gewesen sein: Nicht in unserer Ausstellung, aber doch der Erwähnung wert: James Ensor stellt sich selbst dar als Gekreuzigter, von Tod und Teufeln gequält, ebenso portraitiert sich Lovis Corinth in seinem Ecce Homo, das übrigens wiederum Michael Jackson bei seinem Besuch des Basler Kunstmuseums zutiefst beeindruckt hat ‒ eine Selbstidentifikation mit dem Dargestellten ebenso wie mit dem sich darstellenden Maler.

Die Auseinandersetzung mit der Passion hatte seit Generationen bereits einen reichen Bilderschatz hervorgebracht; dieser garantierte einen hohen Wiedererkennungswert, war doch die Christliche Ikonographie damals noch Allgemeingut. Besonders im Zuge der Katholischen Reform erwiesen sich religiöse Themen als bildmächtig; sie hielten ein reichhaltiges Repertoire an exemplarischen Bilderfindungen parat, an dem auch die Künstler der Moderne nicht achtlos vorübergingen: Oskar Kokoschka zum Beispiel war nach eigenem Zeugnis von Franz Anton Maulbertsch sehr beeindruckt, Max Beckmann orientierte sich an Werken des 15. oder frühen 16. Jahrhunderts, die Wiederindienststellung des Holzschnitts, wie in der Ausstellung zu sehen, ist allein bereits eine Reverenz der Kunst des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit.

Das Aufgreifen und Variieren von Themen, wie sie in Bildern christlichen Inhalts vorgeprägt waren, hat eine eigene, über diese Ausstellung noch weiterführende Tradition: so werden Darstellungen vom Tod des Hl. Joseph in der Malerei 18. Jahrhunderts aufgegriffen, wenn es galt, vorbildhaft sterbende Philosophen wiederzugeben. Honoré Daumiers Lithographie Rue Transnonain, ein Ereignis der Pariser Revolution des Jahres 1834 behandelnd, zeigt einen männlichen Leichnam in Anleihe an eine Beweinung von Peter Paul Rubens. Und auch Slevogts in der Ausstellung präsentierte Kreuzabnahme greift auf ein berühmtes Vorbild dieses flämischen Malers zurück, orientiert sich andererseits, schon durch die Wahl der Radierung, an Rembrandt.

Wie christlich aber waren diese Künstler eigentlich, wie fromm? Schließlich kamen sie mehrheitlich, wenn nicht alle, aus der abendländisch-christlichen Tradition. War der Christus mit der Gasmaske von George Grosz Blasphemie oder bildlicher Ausdruck der Verzweiflung darüber, dass dem sich selbst als Opfer hingebenden Erlöser mit dem Ersten Weltkrieg weitere Tortur zugemutet wird? Bekanntlich ist die Frömmigkeit selbst dem niederknienden Menschen nicht anzusehen, kann doch gerade dieser ein Pharisäer sein. So malte sich bereits Cosmas Damian Asam auf einem Fresko im Vorraum der Abteikirche Osterhofen, die Worte des Evangeliums wohlverstehend, nicht kniend vor dem Altar, sondern als das Haupt beugender armer Sünder.

Das eingangs erwähnte Erstaunen der Welt über das Faszinosum der Passionsspiele, die intensive Auseinandersetzung unserer Künstler mit dem Leiden Jesu, all dies zeigt: Aus der Kirche verabschieden ist möglich, die Religion jedoch hängt an uns abendländischen Menschen, sie lässt uns nicht los, auch wenn manche glauben(!), ohne Confessio leben zu können. „Gottlos“ sind die hier ausgestellten Arbeiten also keineswegs, aber oft genug Kritik an den Kirchen, die die „Urkatastrophen“ des 20. Jahrhunderts weitestgehend kritiklos geschehen ließen, Kritik an der Politik und jenen Spitzen der Gesellschaft, die sich im günstigsten Fall als Pharisäer und Heuchler erweisen, im schlimmsten Fall aber als Verbrecher.

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