Karl Schmidt-Rottluff

Auf ein Wort

Von Dr. Ulrich Scheufelen Stifter, Lenningen

Als ich diesen Holzschnitt vor ungefähr 30 Jahren kaufte, ahnte ich nicht, dass er der Beginn für eine Sammlung moderner christlicher Kunst war. Fasziniert an diesem Holzschnitt haben mich einmal das Thema zum zweiten die expressive Kraft. Die Holzschnitte der deutschen Expressionisten wurden gewissermaßen ein Markenzeichen des Expressionismus und Schmidt-Rottluff als ehemaliger Brücke-Künstler gilt als ein Meister des expressiven Holzschnitts. Auf dem Bild sehen wir eine Gruppe von Frauen, die mit Jesus diskutieren und Jesus steht fast unbeweglich im Heiligenschein. Er scheint zuzuhören. Schon das ist ungewöhnlich, denn üblicherweise sieht man ihn redend oder predigend. Aber ungewöhnlich für seine Zeit ist auch, dass er von Frauen umgeben ist. Damals waren die Frauen Menschen zweiter Klasse.

Anders bei Jesus. Er sah sie gleichberechtigt und gleich wichtig wie die Männer und seine Reisegruppe bestand aus Frauen und Männern. Den Beitrag der Frauen zur Gruppe beschreibt Lukas so: „Sie dienten ihr mit ihrer Habe.“ Das heißt, die Frauen waren auch Mäzeninnen der Jesus-Bewegung. Anders als seine männlichen Jünger hat Jesus die weiblichen nicht berufen. Sie schlossen sich ihm aus eigenem Entschluss an, etwa aus Dankbarkeit für eine Heilung. So wurden sie zu Jüngerinnen. Eine ehemalige Prostituierte hat ihm kurz vor seiner Kreuzigung die Füße gesalbt. Das wäre heute noch ein Skandal. Maria aus Magdala wurde seine treueste Nachfolgerin. Eine der letzten am Kreuz und die erste am Grab. Er hat sich einer Samariterin als Messias offenbart, noch bevor er das bei seinen Jüngern getan hat. Sie hat ihm geglaubt und die gute Nachricht vom Messias weitererzählt. So wurde sie zur ersten Apostelin. Bis heute ist das Thema der Rolle der Frau im Christentum ein umstrittenes und heikles Thema. Trotz dieser klaren Botschaft von Jesus.

Diese Aktualität ist es, die mich an diesem Holzschnitt besonders fasziniert. Aber auch technisch ist der Holzschnitt eine Besonderheit: Der Holzstock galt als verschollen und Schmidt-Rottluff fand ihn nach vielen Jahren wieder. Er wurde 1974, noch zu Lebzeiten von Schmidt-Rottluff, von seinem bedeutenden Künstlerkollegen HAP Grieshaber gedruckt.

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