Max Beckmann

Auf ein Wort

In seiner Kaltnadelradierung Auferstehung entwirft Max Beckmann (1884–1950) am Ende des Ersten Weltkriegs eine verstörende Schreckensvision der Auferstehung, die scheinbar keine hoffnungsvolle Perspektive mehr zu bieten vermag. In dieser Hinsicht fügt sich das Blatt nahtlos in die übergeordnete Sammlung Gesichter ein; ihr Titel umspannt das gesamte Bedeutungsspektrum des Begriffs ‚Gesicht‘, den physiognomischen Aspekt wie auch jenen einer Erscheinung oder Vision. Beckmann bezieht sich dabei auf zwei nur scheinbar sehr unterschiedliche Texte, die aber auf unterschiedlichen Ebenen Berührungspunkte aufweisen:

Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra entlehnt die Motive der Auferstehung, des Abgrundes, des Dualismus zwischen Gut und Böse aus der Johannesoffenbarung; gewissermaßen handelt es sich um zwei Apokalypsen, die Beckmann vorliegen, und deren konstitutives Element die Berührung zweier Welten ist – Diesseitigem und Jenseitigem, die miteinander in Interaktion treten. Im christlichen Bewusstsein ist die Auferstehung eng mit dem Endgericht nach dem endgültigen Sieg über den Satan verknüpft (Offb 20,12–13):

„Und das Meer gab die Toten heraus, die in ihm waren; und der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten heraus, die in ihnen waren. Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken.“

Auch Zarathustra berichtet von einem Gesicht, dessen er alleine an einer Klippe stehend gewahr wird:

„Sah ich je so viel Ekel und bleiches Grauen auf einem Antlitze? Er hatte wohl geschlafen? Da kroch ihm die Schlange in den Schlund – da biss sie sich fest.“

Max Beckmann schafft in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Grauen des Ersten Weltkriegs sein persönliches ‚Gesicht‘. Er erlebt die Kriegsschrecken 1915 im Operationssaal an der Flandrischen Front aus nächster Nähe, wird infolge eines Nervenzusammenbruchs entlassen; das Trauma schlägt sich sichtbar in seinen Gemälden und Zeichnungen nieder.

Wie Johannes und Zarathustra ist er unmittelbarer Zeuge, sein Selbstbildnis erscheint in der fünfköpfigen Figurengruppe am linken vorderen Bildrand. Allenthalben öffnen sich Abgründe und Erdspalten, denen grotesk verstümmelte und misshandelte Kreaturen entsteigen. Zwischen Toten und Lebendigen bevölkern Schlangen, Ratten, Katzen und Hunde die felsig-karstige Szenerie unter einer schwarzen Sonne.

Die Bildmotive tragen Anleihen aus der christlichen Ikonographie mit endzeitlicher Bedeutung – doch nicht durchweg negative: Links von der zentralen, stehenden Rückenfigur kauert ein Lamm am Boden, Symbol der Herrschaft Christi am Ende der Zeiten. Es verweist zugleich zurück auf Nietzsches Vision: „Wer ist der Hirt, dem also die Schlange in den Schlund kroch? Wer ist der Mensch, dem also alles Schwerste, Schwärzeste in den Schlund kriechen wird?“ – „ein Verwandelter, ein Umleuchteter, welcher lachte!“. Möglicherweise baut Beckmann in der zentralen Rückenfigur eine Christusanalogie auf.

Aus den Trümmern der vorherigen entsteht bei Beckmann keine strahlende neue Welt, doch in den Gesichtern der Figurengruppe um sein Selbstporträt ist keine Verzweiflung abzulesen: Zum Zeitpunkt der Entstehung ist der Weltkrieg beendet, der Blick ist in die Vergangenheit gerichtet.

Das Thema der Auferstehung hat Beckmann bereits 1908/09 in einer ersten, hochformatigen Version behandelt. Eine zweite, unvollendete Version von 1916 ähnelt sehr der zwei Jahre später vollendeten Radierung. Zwischen der ersten Version des 24-jährigen Malers und dem ins Kunstmedium übersetzten Kriegstrauma des 34-Jährigen hat sich der Blick auf die Welt innerhalb eines Jahrzehntes unumkehrbar verändert – und doch verliert Beckmann nie seinen „Glauben an eine endliche Befreiung und Erlösung von allen Dingen, die mich quälen“, wie er 1938 am Ende eines Vortrags in London sagt.

Dr. Stephanie Hallinger, Germanistin und Kunstwissenschaftlerin, Regensburg







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