Michael Morgner

Im Gespräch mit...

Drei Fragen an Michael Morgner

Michael Morgner, geboren 1942 in Dittersdorf bei Chemnitz, ist in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden. Mit seinen Werken Kreuzigung (2001) und Auferstehung (2004) sowie mit der Mappe „Ecce Homo“ (1994) ist er auch in unserer Sammlung vertreten. Und er bekam 2006 als erster den Kunstpreis unserer Stiftung zuerkannt. Michael Morgner studierte in den 1960er Jahren an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und arbeitete danach freischaffend. Er gehörte zu den unangepassten Künstlern in der DDR, die sich den Konventionen des sozialistischen Realismus und dem politischen Druck zur Anpassung widersetzten. Mit Künstler-Kollegen gründete er die Gruppe „Clara Mosch“ (1977-1982). Eine von ihnen geführte Galerie in Chemnitz gilt als die erste unabhängige Produzentengalerie in der DDR. Seine Werke sind international anerkannt. Sie finden sich in der Eremitage, dem Getty-Museum Los Angeles und dem Museum of Modern Art in New York. Michael Morgner lebt und arbeitet in Chemnitz. Wir gratulieren ihm noch nachträglich sehr herzlich zu seinem 80. Geburtstag und eröffnen im Gespräch mit ihm unsere Rubrik „Drei Fragen an…“.

Herr Morgner, „Figuren des aufrechten Gangs“, so war die Kolumne zu Ihrem 80. Geburtstag in der Mitteldeutschen Zeitung überschrieben, und die FAZ.net sprach von DDR-DADA. Wie geht es Ihnen mit solchen Überschriften?

Ich habe sie nicht zur Kenntnis genommen. Eigentlich war das, was wir damals taten und was mir wichtig war, das Gegenteil von DADA. Die meisten meiner Aktionen waren bitterer Humor – und darin tief ernst. Z. B. die etwas andere „Seeüberschreitung“ in der Nähe von Gallentin. Das Foto meines Kopfes auf grüner Entengrütze, was dort entstand, wurde zum Symbol eines Menschenlebens, eines Künstlerlebens: Du schreitest über das Wasser, sinkst unter die Oberfläche, schießt noch einmal hoch, gehst unter. Andererseits: Es ist auch eine Ehre mit DADA verglichen zu werden, wenn eine Aktion symbolisch wird. Was wir damals mit „Clara Mosch“ gemacht haben, war Kunst pur. Wir bekamen kein Geld, dafür oft Dresche. Wir wurden zwar nicht verboten und konnten alles zeigen, aber wurden vom DDR-Staat und seinen gesellschaftlichen Protagonisten nicht geliebt, dafür ausgiebig beobachtet.
 
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Was den aufrechten Gang betrifft, war meine Figur „Der Schreitende“ das Wichtigste, was ich gemacht habe. Die Füße stehen noch im Sumpf. Doch er erhebt sich, die Arme nach oben gereckt. Nach einem Skiunfall und 7 Operationen war 1978 die Figur einfach da. Ich habe immer wieder versucht, sie zu verbessern, aber es ist zu keiner Veränderung gekommen. Auch 1989 nicht, wo sie in der Friedlichen Revolution zeigte, was viele DDR-Bürger für sich entdeckten. Ich wollte immer das Eigene machen, nicht wie in der DDR üblich malen. So habe ich versucht, Abstraktes und Gegenständliches zu verbinden. Etwas Konkretes ist bei mir immer dabei. Anders geht es nicht.

Die Lausitzer Rundschau zitierte Sie 2018 mit den Worten: „Eigentlich habe ich immer Kreuzigungen gemalt, nicht die von Jesus, sondern unsere eigenen.“ Werke von Ihnen sind in der Krypta des Brandenburger Domes, im Meißener Dom oder auch im Diözesan-Museum Würzburg zu sehen. Kunst und Kirche – was bedeutet dieses Verhältnis für Sie ganz persönlich?

Es gibt von Gauguin ein spätes Selbstporträt, das mich sehr geprägt hat: „Près du Golgotha (Nahe Golgatha)“. Als Künstlergruppe waren wir immer ganz nahe bei Golgatha, sind aber nicht gekreuzigt worden. Bei den Leidenden zu sein und ihre Narben wahrzunehmen, das hatte für mich große Bedeutung. Ich wollte an der Seite derer stehen, die verlieren. Ich glaube an Schostakowitsch, Picasso und Rembrandt. Doch in mir steckt auch etwas, was darinnen darüber hinausweist.

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Woran arbeiten Sie gerade?

Vor einiger Zeit fiel mir plötzlich nach vielen Jahren ein alter Katalog zu einer Rodin-    Ausstellung in Jena in die Hand. Seine Arbeiten haben mich noch einmal ganz neu zum     Staunen gebracht und fasziniert, etwa der Kopf des ‚Mann[es] mit der gebrochenen Nase‘ oder die Bronze ‚Die Erde‘. Wie im Rausch sind dann 150 Zeichnungen zu Rodin entstanden. Ich hatte vorher noch nie so deutlich empfunden, wie nahe ich Rodin war und bin. Mit diesen Zeichnungen und mit Gedichten von Ulrich Kavka, mit Musik vom schweizerischen Künstler DANI und einem einführenden Essay von Katrin Arrieta entsteht     gerade ein Buch, das im August in den Druck gehen wird. In der zeichnerischen Auseinandersetzung mit Rodin habe ich eine total neue Freiheit erreicht.

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Wir danken Michael Morgner herzlich für das Gespräch.(Das Interview wurde im August 2022 von Hanna Kasparick und Jörg Sandau geführt.)

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