Bernd Stöcker

Werke

Im Gespräch mit...

Bernd Stöcker, geboren 1952 in Bremen, 1974-1977 Studium bei Ulrich Rückriem in Hamburg, 1977-1983 Studium bei Alfred Hrdlicka in Stuttgart, ab 1983 freischaffend, seit 1997 in Triftern ansässig, ab 2007 auch Kuratortätigkeit, seit 2019 korrespondierendes Mitglied der Académie Nationale des sciences, belles-lettres et arts de Bordeaux. Bernd Stöcker ist mit der Malerin und Bildhauerin Ingrid Baumgärtner verheiratet. In den überregionalen Zeitungen bekam er im vergangenen Jahr deutschlandweit viel Aufmerksamkeit für sein Projekt, in Triftern aus einem alten Wirtshaus ein modernes Kulturzentrum zu machen – mit viel Raum für die Kunst.

Herr Stöcker, wann wussten Sie eigentlich, dass Sie Bildhauer werden wollten?

Ja, das war schon sehr früh der Fall. Also ich habe sehr viel gelesen, schon in jungen Jahren. Den Existenzialismus, die Bibel und das Christentum, alles Mögliche habe ich gefressen. Die Frage nach dem Leben war schon immer das eine. Und das andere war, dass ich mich nicht habe sprachlich gut ausdrücken können. Ich war eigentlich jemand, der mit den Händen besser sprechen konnte. Und wenn es beim Werkunterricht eine Aufgabe gab, dann hat der Werklehrer öfter gesagt: „Mach mal, was du willst!“ Und ich habe einen Clown oder eine Obstschale geschnitzt. Das war für mich überhaupt kein Problem. Schließlich musste ich für die Abschlussarbeit in der Realschule eine Jahresarbeit schreiben. Dazu habe ich Künstlerbesuche gemacht, bei uns im Ort in Rahlstedt, einem Ortsteil von Hamburg. Einer der Besuchten sagte mir: „Werde doch Kunsterzieher!“ Das führte zu meinem Entschluss, doch noch das Abitur zu machen. Das habe ich dann auch geschafft und gleich versucht, auf die Kunstakademie in Hamburg zu kommen. Beim ersten Mal wurde ich abgelehnt und habe dann Volksschullehrer mit Erziehungswissenschaft und Bildende Kunst studiert. So war ich dann doch auf der Akademie. Dort wurde Ulrich Rückriem zu meinem prägenden Lehrer. Der hat mich gleich fasziniert, obwohl das Studium bei ihm und die Arbeit mit dem Stein erst einmal wunde Hände bedeuteten. Aber ein Gespür für diese Materialität zu bekommen und die räumliche Orientierung zu finden, das war für mich sofort spannend, und das hat mich nicht losgelassen. Ich habe dann auch gar nicht mehr in Holz gearbeitet, sondern immer das härtere Material gewählt. Keinen Granit, aber so mittelharte Steine. Sie haben mich herausgefordert.

Schon damals hat sie das Thema Figur beschäftigt. Das war ja in den siebziger Jahren in Westdeutschland durchaus ungewöhnlich…

Ich war halt an Menschen interessiert, auch an der Soziologie. So schob sich das Thema Figur immer weiter in den Vordergrund. Ich wollte die Figur machen. Das gab’s aber gar nicht mehr in Hamburg. Es gab kein Aktzeichnen mehr, es gab kein Akt-Modellieren. Und dann habe ich Detlef Birgfeld, einen ehemaligen Seitz-Schüler, der damals dort Assistent war, bekniet, dass er wieder Aktzeichnen und Akt-Modellieren anbietet. Das waren meine ersten Gehversuche. Rückriem hat das toleriert. Wir haben uns gut verstanden. Ich habe Porträts gemacht und auch in Stein gearbeitet. Schließlich sah ich mich nach einem figürlichen Bildhauer um. Ich suchte die Auseinandersetzung und stieß auf Alfred Hrdlicka, der zu dieser Zeit in Stuttgart Professor war, und ich kam in seine Klasse.

Die schon da waren, haben mich alle ausgelacht, mehr oder weniger, und gesagt: „Der spinnt ja, der hat ja nur zwei Meißel zur Hand“ – also zwei Baustoff-Meißel und einen Hammer. Und es waren halt besondere Leute in der Klasse. Der eine war Bildhauer-Meister von ganz Deutschland. Die hatten die ganz Palette von verschiedenen Meißeln und waren total versiert. Und ich kam da so rudimentär an; habe aber viel von ihnen gelernt. Wir haben überhaupt viel innerhalb der Klasse gelernt. Das Studium beim Hrdlicka war halt sehr interessant. Der war zwar nur zwei- dreimal im Monat da, für zwei oder drei Tage, hat dann aber immer eine sehr individuelle Kritik an den Arbeiten vorgenommen, die man jeweils gemacht hatte. Er ließ uns freie Hand. Und am Abend in der Kneipe, lud er uns zum Essen und Trinken ein. Dann wurde diskutiert über Gott und die Welt, über Kunst und alles Mögliche. Und das suchten wir. Da hat man Blut geleckt. Das war prägend – vor allem seine Begeisterung als Bildhauer. Trotz der damals herrschenden Kunstauffassung in den 1980er Jahren, die das Abstrakte schätzte, das war wurscht. Man müsse, so Hrdlicka, sich dann halt an der Antike, an den Altvorderen orientieren, sich mit denen auseinandersetzen. Und das war eine gute Schule.

Wenn Sie ein Grundmotiv in Hrdlickas Arbeiten nennen sollten, was wäre das?

Er war sicherlich ein ganz überzeugter Antifaschist. Beim kommunistischen Vater waren während des Austrofaschismus Hausdurchsuchungen an der Tagesordnung. Und als er dann, ich glaube mit 16 oder 17, ins Militärlager zur Übung in die Berge musste, da ist er ausgebüxt und in Wien untergetaucht, bis zum Kriegsende. Er hat dann eine Zahntechnikerlehre angefangen, jedoch abgebrochen und bei Fritz Wotruba studiert. In dieser Zeit hat er wahnsinnig viel gezeichnet. Das war die Grundlage für sein ganzes späteres Werk. Ja, Aufbegehren gegen die Herrschenden. Das war sein Grundmotiv. Er hat sich einmal als Eurokommunist bezeichnet. Dem russischen stand er wohl kritisch gegenüber.

In der DDR war Hrdlicka ja durchaus anerkannt. Und es gab ja in der DDR auch noch eine Generation, die nicht bei der herrschenden Ideologie ansetzte, sondern bei den Erfahrungen des Krieges.

Ich weiß, Hrdlicka hatte auch eine gute Verbindung zu Werner Stötzer. Beide waren gut miteinander befreundet. Auch mit Fritz Cremer. Dass Fritz Cremer dann in Bremen den Bildhauerpreis bekam, das war ihm zu verdanken. Hrdlicka berichtete, als er in der Kommission den Namen Cremer ins Spiel brachte, wären alle Kommissionsmitglieder in ein Kopfschütteln verfallen: „Auf gar keinen Fall“. Hrdlicka reagierte, dann könne er ja wieder heimfahren. Und damit hatte er sie in die Knie gezwungen und durchgesetzt, dass Fritz Cremer den Preis bekam, was ein absolutes Novum war. Hrdlicka hatte ihn zwei Jahre vorher bekommen und war somit Mitglied der Kommission, ein Recht, das immer dem vorherigen Preisträger zustand.

Figur als Widerstand – so das Thema einer Ausstellung 2013 in Hamburg mit Werken von Ihnen, Hrdlicka und Stötzer – diese Überschrift kennzeichnet dann auch ihr Lebenswerk.

Also, mich hat das Thema Faschismus interessiert. Das hat auch einen familiären Hintergrund. Der ältere Bruder meines Vaters war in Berchtesgaden auf der SS-Schule, ist dann aber früh gestorben, mit 18 Jahren, noch vor dem Krieg. Darüber wurde aber nie gesprochen. Dass so viel verdrängt wurde, in der Familie, und im Westen auch in der Schule, hat mich beschäftigt. Unser Lehrer war Kriegs-Invalide, aber er hat sich nie dazu geäußert. Das hat die Sache für mich interessant gemacht. Und dann habe ich mich eigentlich immer damit beschäftigt, habe Kontakt gehabt zu Widerstandskämpfern in Stuttgart, habe sie porträtiert. Und oben in meinem Atelier, ist noch ein Ergebnis zu sehen: der stehende Torso mit der KZ-Hose – also nur der widerstehende Torso und die übrig gebliebene Hose, die ich gemeißelt habe. Und dann gibt es von mir eine Arbeit zu dem Thema Munitionsfabrik. Etliche Sachen, z. B. auch zu Mauthausen, habe ich schon während des Studiums gemacht.

Es ist die menschliche Figur, ihre Darstellung, die ihnen wichtig ist, weil man ihr nicht ausweichen kann. Beim Abstrakten scheint das leichter zu sein. Haben Sie deshalb die Renaissance der menschlichen Figur in der Kunst gefordert?

Ja, mir ist das Abstrakte zu wenig. Es ist eine wichtige Aufgabe und für viele ist es der einzige Weg, Gefühle umzusetzen, in Farben. Ob man traurig ist, ob man fröhlich ist oder was auch immer, aber das ist mir zu wenig. Ich suche nach Orientierung in der Welt, nach Orientierung in meinem Leben. Und da muss ich die Figur haben. Ich muss konkreter werden. Ich kann nicht nur einen Rhythmus gestalten. Rhythmus ist wichtig, Aufbau ist wichtig. Und es muss Skulptur bleiben. Doch es geht um eine Erzählung. Und wie die Erzählung mit Worten arbeitet, muss ich das bildhauerisch umsetzen. Es geht mir um die Orientierung des Menschen in der Gesellschaft, in der Gemeinschaft, dort wo man sich selber befindet – im Verhältnis zum anderen. Das ist ja auch mordsinteressant. Wie verhalten sich Leute untereinander? Und da ist man beim Zwischenraum, und den Zwischenraum, den muss man beim Modellieren mitdenken, obwohl er hohl ist. Das sieht man beim Werner Stötzer ja ganz gut. Oder bei der Sylvia Hagen.

Wie vollzieht sich eigentlich ihr künstlerischer Schaffensprozess?

Mein Hauptproblem ist immer: Wie schaffe ich das, was ich im Kopf habe, zunächst in einen abstrakten Rhythmus zu bringen? Also ich fange eigentlich ziemlich abstrakt an, und erst dann kommen die Details dazu. Beim Stein ist es ganz schwierig, eben weil der Stein von der Arbeitsweise her bestimmte Vorgaben macht. Ich kann da nicht am Stand einer Figur anfangen, dann ist sie unten dünn und oben bricht sie mir ab. Der Stand eines Menschen ist aber sehr wichtig, wie jemand steht, wo er steht, wie er steht. Und das ist bei einer modellierten Figur einfacher. Da kann ich als erstes, wenn ich das Skelett oder die Komposition in Stahl schweiße, bevor ich den Ton antrage, schon den Stand eines Menschen festlegen. Insofern habe ich auch beim Stein die abstrakte Struktur der Figur schon präsent. Und da arbeite ich so lange, bis es stimmt. Das ist für mich das Gerüst. Früher hatte man einen Galgen. Er ging nach außen, und an dem hing die Figur. Auf diese Weise hatte man das Problem gelöst, dass sie einem nicht zusammenkrachte. Aber das ist nicht mein Weg. Ich versuche eigentlich schon, die Komposition erst abstrakt zu klären, bevor dann etwa eine Wade entsteht oder das Gesicht da ist.

Sie sind in letzter Zeit vermehrt auch graphisch tätig geworden, haben viele Linolschnitte gemacht, unter anderem zu Rodin. Im vergangenen Jahr haben wir Michael Morgner besucht, der auch gerade dabei war, sich mit ihm zu beschäftigen. Eine Hommage an einen der „Altvorderen“?

Ja, schon. Vor einiger Zeit hatte ich eine Ausstellung in Paris, und da hatte ich dann auch Gelegenheit, das Rodin-Museum zu besuchen. Es ist schön, sich den Wissensstand eines anderen zu erarbeiten. Und das macht man am besten, indem man zeichnet. Dann schaut man noch genauer hin, als wenn man nur einen Besuch macht, weil: Man muss sich dann Gedanken machen, wie dieser Formenrhythmus zustande kommt.

Natürlich interessieren uns ihre Arbeiten, die einen religiösen Gegenstand haben. Sie haben zum Beispiel ein Lesepult geschaffen, das von einer Elia-Figur getragen wird, sowie einen Altar und ein Kreuz für St. Teresa in Heidelberg-Ziegelhausen. Dieser Elia ist besonders eindrücklich und auch ungewöhnlich, wie er sich aus dem Stein heraushebt und die Lesung des Bibelwortes trägt.

Das hat sich aus der Gesamtkonzeption entwickelt. Teresa von Avila war ja Karmeliterin. Und mein Vorschlag beim Wettbewerb war, einen Stein aus dem Karmelgebirge zu holen und daraus die Prinzipalien zu fertigen. In den Karmel hatte sich auch der Prophet Elia zurückgezogen, als er sich vor König Ahab verbarg. Er lebte dort in einer Höhle. Deswegen wurde Elia Teil des Ensembles. Die gesamte Komposition ruft eine Gebirgslandschaft auf, von der der Ambo ein Teil ist: mit Elia in der Höhle, wo die Raben ihm das Brot bringen. Dahinter dann wieder ein Felsstück mit einem Kreuz aus Bronze. Doch der Stein, den ich aus dem Karmelgebirge bekommen konnten, war nicht brauchbar, weil er normalerweise nur zu Schotter verarbeitet wird und sich für bildhauerischen Dinge nicht eignet. Ich habe dann den Stein aus Hebron geholt, einen blassgelben Kalkstein.

Und aus dem wächst dann auch der Altar.

Ja, genau. Das war die Konzeption. Die Kirche ist ja am Hang gebaut und meine Arbeit ist praktisch das Gegenstück zu dieser Hanglage. Da ist ein Berg, der sich dann auch im Inneren findet und andeutet, was draußen passiert. Später entstanden dazu dann auch noch Kreuzwegstationen.

Es gibt auf der Neckar-Brücke in Schlierbach von Ihnen dann noch einen Christophorus aus Bronze, der das Jesuskind über den Fluss trägt, optisch auch über die Dächer von Ziegelhausen. Den haben sie auch auf das Grab ihres Vaters gesetzt. Wie kam es dazu?

Ja, das kam eigentlich im Nachhinein zur Arbeit für St. Teresa. Es war ein Wunsch des Juristen Paul Kirchhof, der von 1987 bis 1999 Richter am Bundesverfassungsgericht war, hier einen Christophorus zu haben. Er hat dafür Spenden gesammelt und das Geld auch zusammenbekommen. Das war seine Idee. Und dann habe ich die Figur für das Familiengrab wiederverwendet; in der kleinen Fassung, die als Vorarbeit dazu entstanden war. Für den Vater. Er starb als erster. Von Beruf war er Statiker und zeitlebens war ihm die Familie wichtig. Das passte. Es ist ja auch ein statisches Problem, wenn man durch den Fluss geht und dazu noch ein Kind auf dem Rücken trägt oder sogar die ganze Welt. Mein Vater hatte sich wirklich in beides hineingestürzt. Mit 28 hatte er vier Kinder und konnte dann so ein kleines Häuschen in Hamburg-Rahlstedt kaufen. Ja, die Eltern hatten schon ein hartes Leben, doch alles aber irgendwie richtig gut gemeistert.

Dann habe ich auch in Mannheim für zwei, nein eigentlich für drei katholischen Kirchen gearbeitet; bei einer sogar zusammen mit meiner Frau. Das war für die Kirche Maria Hilf in Mannheim Almenhof. Sie hat eine schwangere Maria modelliert und ich einen auferstandenen Christus für ein Vortragekreuz. Für St. Hildegard habe ich 1998 ein großes Altarkreuz geschaffen, das Teil eines „Lebensbogens“ ist, der sich von der Gemeinde – der Taufe –, über den Ambo bis hin zum Kreuz zieht und dann an einem Stein endet, der an den Ostermorgen erinnert, an den Stein, der von Christi Grab weggerollt wurde. Und für die katholische Kirche in Mannheim Neuhermsheim hatte ich schon früher Altar, Ambo und Tabernakel in weißem Carrara-Marmor und in Bronze gestaltet. Ich habe mich als evangelischer Christ eben auch viel mit der katholischen Tradition auseinandergesetzt.

Sie sind gegenwärtig sehr im Kulturprojekt „Alte Post“ engagiert, als Initiator und Kurator. Was dort entstanden ist, hat uns sehr beeindruckt und wir wünschen Ihnen den langen Atem und die Widerstandskraft, die es braucht, einen solchen Ort der Begegnung weiter zu entwickeln. Doch was haben Sie künstlerisch noch vor?

Mir fehlt noch eine wichtige Arbeit, die ich im Kopf habe. Es gibt auch schon eine Zeichnung dazu. Das ist der Seziertisch in Auschwitz, wo die Versuche gemacht wurden, und den werde ich füllen mit lauter Torsi – mit unterschiedlichen Gruppierungen, die gegeneinander kämpfen, selbst noch auf dem Seziertisch. Auch über dieses Phänomen wurde kaum geredet. Der Streit innerhalb verschiedener Gruppen setzte sich ja im Konzentrationslager fort, zwischen links und rechts, zwischen Katholiken und Protestanten und zwischen Pfarrern und Linken und den Zeugen Jehovas. Das ist auch ein Grund, warum ich mit dem Kulturzentrum hier in Triftern angefangen habe. Ich möchte, dass die unterschiedlichen Gruppierungen miteinander ins Gespräch kommen. Der Dialog ist existenziell und so wichtig für unsere ganze Gesellschaft. Das ist und das war für mich die Quintessenz aus der Beschäftigung mit dem Thema Faschismus.

Herr Stöcker, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch.

(Das Interview wurde im Oktober 2023 von Hanna Kasparick und Jörg Sandau geführt.)

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