Sylvia Hagen

Werke

Im Gespräch mit...

Sylvia Hagen, geb. 1947 in Treuenbrietzen, 1966 Abitur und Lehre als Bautischlerin in Jüterbog, 1966-1969 Medizinstudium an der Humboldt-Universität Berlin, Abbruch des Studiums, erste Zeichenversuche plastische Arbeiten, 1971-1976 Studium der Bildhauerei an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, seit 1976 freiberuflich in Berlin tätig, Lebensgemeinschaft mit dem Bildhauer Werner Stötzer, 1978 Geburt des Sohnes Karl, ab 1979 wird Altlangsow im Oderbruch der Lebens- und Arbeitsort, ab 1983 Teilnahme an nationalen und internationalen Bildhauersymposien und Kunstwettbewerben, 1998 Heirat mit Werner Stötzer, zahlreiche Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, 2006 und 2017 Brandenburgischer Kunstpreis, 2022 Ehrenpreis des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg für ihr Lebenswerk. Zahlreiche ihrer Arbeiten befinden sich im öffentlichen Besitz sowie im öffentlichen Raum und in Privatsammlungen.

Liebe Frau Hagen, vielen Dank, dass wir sie hier in Altlangsow besuchen dürfen, Ihrem Lebens- und Arbeitsmittelpunkt. Wir wollen gern mit Ihnen darüber ins Gespräch kommen, wie Sie als Künstlerin arbeiten und wodurch Sie eigentlich auf Themen gestoßen sind, die den Bereich des Religiösen berühren. Jetzt stehen wir vor dem Entwurf eines Taufengels. Wie kam es dazu?

Der Engel

S. H. Das war im Jahr 2005. Da hatte die neu gegründete Kulturstiftung des Landes Sachsen-Anhalt in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen eine Kunstwettbewerb ausgelobt. Es ging um einen Taufengel für die Evangelische Kirche in Wettin. Ich war damals in der Endrunde mit dabei. Doch die Jury hat sich am Ende für einen anderen Entwurf entschieden. Ich glaube, die Gemeinde wollte einen Engel, der von der Decke kommt, nicht einen, der im Kirchenraum steht, mit einer gewissen Massivität. Ich hätte diesen Taufengel schon gern gemacht und wollte ihn aus Ton aufbauen, lebensgroß. Schließlich gab es auch Diskussionen um den einen Arm, der sich nach oben reckt. Diese Geste wirkte auf manche befremdlich, habe ich mir sagen lassen. Sie wirke als wolle der Engel gerade zuhauen.

Dabei ist doch die Hand zu einer Schale geformt, die nach oben offen ist, etwas aufnimmt und so auf die Erde holt.

Ja, es ist eine offene Geste.

Haben Sie eigentlich noch andere Engel gemacht?

Nein, das ist der einzige. Aber immerhin: EIN Engel ist geworden, der mir wichtig ist und den ich heute noch um mich habe. Ich habe auch deshalb bei Wettbewerben immer gern mitgemacht, weil da von außen etwas an einen herangetragen wird, mit dem man sich sonst nie beschäftigt hätte. Dann habe ich mich eben mit Engeln beschäftigt. Hätte ich sonst nie gemacht. Und wir, d. h. mein Engel und noch vier oder fünf andere Arbeiten aus diesem Wettbewerb waren dann auch im Magdeburger Dom zu sehen, bei der großen Taufausstellung („Tausend Jahre Taufe in Mitteldeutschland“, 2006). Die einzige Voraussetzung beim Wettbewerb war, dass die Gestalt Flügel hat. Jetzt hängen in der Kirche von Wettin nur Flügel.

Heilige Barbara

Das ist auch eine Arbeit, die aus der Beschäftigung mit einem Wettbewerb entstand. Es handelte sich in diesem Fall um ein Energieunternehmen, das sich in der Tradition des Bergbaus sieht und deren Schutzheilige ist die Heilige Barbara – so kam es dazu.

Sie gehört zu den Vierzehn Heiligen – auch Vierzehn Nothelfer genannt. Der Legende nach war sie eine junge Frau, die von ihrem Vater in einen Turm gesperrt wurde, weil sie den christlichen Glauben annahm. Sie ließ in den Turm ein drittes Fenster bauen – als Zeichen für die heilige Dreifaltigkeit. Daraufhin wurde sie von ihrem Vater gefoltert und mit dem Tode bedroht, aber sie konnte entkommen. Auf der Flucht öffnete sich vor ihr ein Berg, der ihr Schutz vor den Verfolgern gab. Aber sie wurde verraten und letztendlich hingerichtet. Diese Geschichte hat mich sehr beeindruckt und ich habe mich mit ihr in meiner Arbeit auseinandergesetzt.

Sie haben eine ganz spezifische Arbeitsweise und so ihre eigenständige künstlerische Handschrift entwickelt: mit Tonplatten und mit Oberflächen, die etwas Schroffes haben. Und Sie bauen ihre Figuren oft um einen Hohlraum herum auf. Das ist nicht so leicht zugänglich und braucht eine wache Aufmerksamkeit. Man muss sich in Ihre Formensprache hineinsehen. Und es ist schon mutig, dass Sie in ihren so entstehenden Figuren Überlappungen der Platten und überstehende Reste einfach stehen lassen.

Meine Arbeitsweise hat sich einfach ergeben. Nach dem Stein habe ich den Brennton als Material für mich entdeckt und gesehen, wie man architektonisch mit ihm arbeiten kann. Ich arbeite bewusst mit Tonplatten, auch mit Gips. Und zwar so, dass ich in Stücken eine Figur aufbaue, Fläche auf Fläche. Und dann kann ich wegschneiden. Doch es bleibt immer etwas hängen. Hier schiebt sich etwas, dort gibt etwas nach. Dadurch entsteht eine Spannung, nichts Gefälliges. Ich versuche das zu zeigen, was ist, was die Figur ist, in ihrer Verletzlichkeit oder auch in ihrer Kraft und Energie. Dabei fange ich nicht mit einer Idee an, sondern beginne mit einem Eindruck, der mich konkret bewegt. Es gibt immer etwas Sinnliches oder Organisches, von dem ich ausgehe. Doch ich wende diese Technik, wie sie sich bei mir eingestellt hat, nicht vordergründig an, um der Technik willen. Man sieht zuerst aber wohl etwas Ruppiges in meiner Arbeit. Das hat natürlich etwas mit mir zu tun und mit der Zeit, in der wir leben und die man durchaus rabiat nennen könnte. Nicht, dass ich ruppig bin. Aber ich möchte etwas mit meinen Händen arbeiten. Und das ist nicht glatt. Das Glatte ist bei mir langweilig. Bei anderen nicht.

Und der Aufbau der Figur? Ich beginne mit dem Gerüst. Und das hat immer mit dem Halt einer Figur zu tun. Ich arbeite ja mit Ton und der muss Halt finden. So entsteht dann der oft sichtbare, manchmal unsichtbare Kassettenaufbau. Dazu kommt ein spielerisches Moment. Ich bin in einem Alter, wo ich auch spielen kann. In diesem Spiel suche ich allerdings nicht das Sichtbare, sondern das Ahnbare, etwas Symbolisches, das die Existenz prägt.

Das ist schon aufregend, weil durch diese Arbeitsweise oft der Innenraum einer Plastik sichtbar bleibt und sich offen zeigt für Fragen: Was ist eigentlich das Innere der Figur, das Wesen des Menschen?

Das, was die Figur trägt, was einen Menschen trägt, was seine Energie ausmacht, ist oft nicht einfach fassbar. Ich habe Arbeiten, wo man durchschauen kann, wo nur der Aufbau der Figur sichtbar ist. Aber eben nicht immer. Ich kann die Figur auch ganz zu machen. Doch mit jeder Figur zeige ich, was mich an ihr berührt.

Ecce homo („Seht, da ist der Mensch“ – Johannes 19,5)

Das Besondere Ihrer Arbeitsweise kann man auch an Ihrer Plastik „Ecce homo“ sehen.

Ja, sie entstand im Zusammenhang mit dem Tod meines Mannes. Sein Tod hat mich nicht losgelassen. Diese Plastik ist eine Auseinandersetzung mit Sterben und Tod überhaupt. Es ist ja das Besondere an meinem Beruf, dass man diese Erfahrung im wahrsten Sinn des Wortes verarbeiten kann. Meistens allerdings fallen die Reaktionen auf diese Plastik sehr unterschiedlich aus. Eine kam von einer Kollegin. Sie war unheimlich erschrocken und hat sofort gesehen, was ich meine. Es ist ja ein Leib zu sehen mit einem Brustkorb, der sich gegen den Tod aufbäumt. Danach kam ein anderer Kollege vorbei und sagte: „Na, wer ist denn die Schöne?“ Aber eigentlich sieht und spürt man, worum es geht, auch wenn man den persönlichen Kontext nicht kennt. Es ist ja eine grundlegende Erfahrung, die ich gestaltet habe, keine irgendwie geartete Idee, die ich Kopf gehabt hätte. Eine körperliche Erfahrung, die ich nicht losgeworden bin. Die hat hier ihre Form gefunden.

Apokalyptischer Reiter

Wie kam es zu der Arbeit „Apokalyptischer Reiter“, einem Motiv, dass sich mit Beginn der Renaissance – ein jeder hat wohl die Apokalyptischen Reiter von Dürer vor den Augen – durch die bildende Kunst zieht.

In meinem Atelier steht ein Foto des Böcklin-Gemäldes „Der Krieg“, schon sehr lange. Es hat mich einfach nicht losgelassen, ich wusste aber auch lange nicht, was es ist und wie ich damit umgehen sollte. Die Figur hat etwas Symbolisches, steht als Symbol für Angst. Die Arbeit daran war wie eine Befreiung für mich.

Das Sonnenschiff

Sie arbeiten eigentlich immer figürlich. Aber manchmal scheint es auch ins Abstrakte hinüberzugehen wie hier bei dieser Arbeit.

Ich nenne sie „Das Sonnenschiff“. Sie geht zurück auf ein Gedicht von Ingeborg Bachmann. Das Gedicht heißt eigentlich „Die große Fracht“.

Das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit,

und auf die Lippen der Gallionsfiguren

tritt unverhüllt das Lächeln der Lemuren.

Das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit.

Das Ergebnis meiner Auseinandersetzung mit diesen Worten ist nun hier halt so wie es ist zu sehen. Ich wollte ein Schiff machen. Und es ist leider kein Sonnenschiff daraus geworden – was ja auch bei Ingeborg Bachmann nicht einfach so gemeint war -, sondern ein Wrack, ein Schiffswrack. Ich habe damit immer weitergemacht. Jetzt ist es eigentlich eine Collage. Und abstrakt? Nun ja, diese Gestaltung geht immerhin noch von einem konkreten Inhalt und einem starken Bild aus.

Wenn Sie sagen, sie arbeiten immer weiter, dann sind Sie aber doch irgendwann mit einer Arbeit auch fertig?

Schon. Da hatte ich einmal ein Interview mit einer Kollegin. Die hat auch gefragt: „Wann weißt Du, wann Du aufhören sollst?“ Und da habe ich gesagt: „Wenn ich aufhöre“. Irgendwann kommt der Moment, wo du denkst: Jetzt ist es genug. Aber ich befasse mich generell sehr lange mit meinen Werken.

Die Bildhauerin

Noch eine andere Frage: Wie war das eigentlich für Sie als Frau in einer Männerklasse, jedenfalls stelle ich mir vor, dass damals an der Hochschule in Berlin-Weißensee, wo Sie studiert haben, mehrheitlich Männer unter den Bildhauern zu finden waren.

Es gibt erstaunlich viel gute Bildhauerinnen. Es gab sie zu DDR-Zeiten und gibt sie auch heute. Die Männer waren da ein bisschen schwächer. Es könnte sein, dass das möglicherweise an einem besonderen Blick und einer anderen Art des Zugriffs liegt. Aber das weiß ich nicht. Damals im Studium waren über die Hälfte der Studenten Männer. Doch von den wenigsten habe ich noch etwas gehört. Das ist schon eigenartig. Bei den Frauen, die noch leben, weiß ich von fast allen, was sie derzeit machen.

Hing das mit einer spezielle Frauenförderung in der DDR zusammen?

Ach, ich weiß nicht. Vielleicht auch einfach mit dem Zufall. Aber das hatte schon etwas mit dem Selbstverständnis zu tun, das man in der DDR als Frau hatte. Das war schon anders als im Westen, und es war wichtig. Man musste sich gegen die Männer äußerlich erst einmal nicht wehren, subtiler vielleicht schon. Doch erst einmal war man anerkannt. Das wollten uns 1989 Kolleginnen aus dem Westen nicht so recht glauben. Da waren wir im September in Berlin-Neukölln, in der Orangerie, zu einer Ausstellung „Werner Stötzer. Seine Lehrer und seine Schüler“. Dort hatten wir ein Gespräch mit Künstlerinnen aus dem Westen. Die wollten unsere Solidarität gegen die männlichen Kollegen und dachten, wir erlebten die Marginalisierung von Frauen ähnlich. Doch da konnten wir nur sagen: „Nein, das war nicht so bei uns.“ Diese Differenz zwischen uns Frauen ließ sich an dem Abend auch nicht ausräumen. Später bin ich noch mal hingegangen zu einigen und wir haben öfter noch über unsere unterschiedliche Wahrnehmung gesprochen.

Liebe Frau Hagen, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch.

Das Gespräch im April 2024 führten Dr. Hanna Kasparick und Jörg Sandau.

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