Auf ein Wort

Von Johannes Winkelmann, Vorstandsvorsitzender der Cranach-Stiftung Wittenberg und Mitglied des Freundeskreises der Stiftung Christliche Kunst, Wittenberg

Die Bilder von Max Slevogt üben schon seit vielen Jahren einen besonderen Eindruck auf mich aus. Besonders die hellen, leichten impressionistischen Bilder der sonnendurchfluteten Wüstenlandschaften Nordafrikas gefielen mir schon immer. Seit ich in Leinsweiler in der Nähe von Landau in der Pfalz seine Villa Slevogthof gesehen habe, kann ich mir auch gut vorstellen, wie die Leichtigkeit und Schönheit der Pfälzer Weingegend auf ihn gewirkt haben können.

Umso erstaunlicher war für mich die Entdeckung seiner Radierungen zum Thema Passion.

Das Motiv der Kreuzabnahme zählt seit Jahrhunderten zu den zentralen Themen der christlichen Ikonografie. Auch Max Slevogt, widmete sich 1923 diesem Sujet in seinem Radierzyklus Eine Passion. Die kleine Kaltnadelradierung Die Kreuzabnahme zeigt, wie der bereits tote Christus vom Kreuz herabgenommen wird. In dieser Arbeit offenbart sich eine ernste, fast meditative Seite Slevogts, die sich deutlich von seinen farbenfrohen impressionistischen Gemälden unterscheidet.

Im Zentrum dominiert das Kreuz mit dem bleichen Körper Christi, der durch das kräftige Hell-Dunkel der Kaltnadeltechnik hervorgehoben wird. Während der Hintergrund weitgehend im Dunkeln bleibt, leuchtet der Leib Christi strahlend hervor und zieht so den Blick des Betrachters unweigerlich an. Eine Figur im Vordergrund wird durch den strahlenden Körper gleichsam geblendet und hebt abwehrend die Arme.

Die Komposition wirkt verdichtet: mehrere Figuren drängen sich um den Leichnam, eine Leiter schneidet diagonal in die Vertikale des Kreuzes und erzeugt Spannung. Besonders eindrucksvoll ist die Gestik: Helfer stützen und tragen den Körper, während eine Frau – wahrscheinlich Maria Magdalena – zu Füßen Christi kniet und sie zärtlich umfasst. Hier verdichtet sich die Trauer zu einem unmittelbaren Ausdruck inniger Anteilnahme.

Die Technik der Kaltnadel ermöglicht es Slevogt, harte Linien und tiefe Kontraste zu setzen. Dadurch erhält das Bild eine starke Expressivität, die den Schmerz und die Schwere des Moments eindringlich betont.

Zugleich wirkt die Szene zutiefst menschlich. Die Trauernden sind keine idealisierten Gestalten, sondern einfache Menschen in Bewegung, voller Anteilnahme. Slevogt verbindet damit das Religiöse mit dem Existenziellen: Der Tod Christi wird nicht als ferne Legende gezeigt, sondern als unmittelbares, menschliches Leid.

Max Slevogts Kreuzabnahme ist ein stilles, aber kraftvolles Werk, das durch die Verbindung von Reduktion, Expressivität und intimer Nähe besticht. Die kleine Radierung zeigt, wie ein impressionistischer Maler in der Grafik zu einer ganz eigenen, tief bewegenden Bildsprache findet. Im Gegensatz zu seinen farbenfrohen Leinwänden vermittelt dieses Blatt eine nachdenkliche, ernste Grundhaltung. Die „Kreuzabnahme“ wird so nicht nur zu einem religiösen Motiv, sondern zu einer allgemein-menschlichen Meditation über Tod, Trauer und Hoffnung.

Dokumente

Enquiry