Kurt Buchwald

Auf ein Wort

Von Jörg Sandau Galerist, Berlin

In einem Gespräch Anfang des Jahres – es ging um unsere gemeinsame Heimatstadt Wittenberg – holte Kurt Buchwald eine relativ frühe Arbeit hervor und sagte, dass er diese gerne der Stiftung Christliche Kunst schenken möchte. Ich war sehr erfreut und es begann ein für mich überraschender und intensiver Erinnerungsprozess an die Zeit, in der diese Arbeit entstanden ist.

Wittenberg war, bedingt durch die Lage an der Elbe, militärisch von Interesse: Die Stadt war Festung und wurde im 19. Jahrhundert Garnisonsstadt. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurden zahlreiche Einheiten der Sowjetischen Armee hier stationiert. Bis in das unmittelbare Stadtzentrum hinein wurden damals Areale eingezäunt und Kasernen errichtet. Dazu kamen zahlreiche weitere Standorte und militärische Stellungen, die sich wie ein Gürtel um die Stadt zogen. Diese waren durch ein regelrechtes Netz von sogenannten Panzer-Straßen verbunden. Der Anblick uniformierter Soldaten war alltäglich, ebenso der spezifische Abgasgeruch langer LKW-Kolonnen.

Kurt Buchwald lebte Anfang der 1980er Jahre schon länger nicht mehr in Wittenberg, sondern war nach seinem Studium im damaligen Karl-Marx-Stadt mittlerweile in Berlin angekommen. Seine Auseinandersetzung mit der Fotografie hatte schon in Wittenberg begonnen, doch während seiner Studienzeit erhielt er durch Kontakte mit den Mitgliedern der Künstlergruppe Clara Mosch und ihrem Umfeld die wegweisenden Impulse für seine späteren Performance-Arbeiten. Zu seiner beabsichtigten Schenkung schrieb er folgendes: „Die Arbeit ‚Auferstehung‘ Lutherstadt Wittenberg aus der Serie ‚Erschütterungen‘ entstand innerhalb meiner Straßenaktionen von 1982 – 85 in der Nähe meines Geburtshauses, Ecke Katharinenstraße/Thälmann-Straße (heute wieder Sternstraße), wo gerade die Straße aufgerissen wurde. Das erschien mir wie eine Aktion unbekannter Land-Art-Künstler und hat mich herausgefordert etwas Eigenes zu tun. Wenn man bedenkt, dass darüber die Panzer der Roten Armee von der Kaserne in Teuchel zum Bahnhof gefahren sind, was wir als Kinder mit Stauen beobachtet haben, ist es schon ein besonderer Ort. Es war für mich der Versuch, die Erschütterungen der Panzerfahrten in Bezug zu Luthers Tat, die die damalige Welt auf ganz andere Art erschüttert hat, zu setzen und mit dem christlichen Auferstehungsthema zu verbinden.“

Die Arbeit ist in einer bewegten Zeit entstanden. Die politische Weltlage war äußerst angespannt, man befand sich in einer Zeit der Hochrüstung und auch zunehmender Militarisierung des DDR-Alltags. So wurde z. B. Ende der 1970er Jahre an den Schulen der sogenannte Wehrkundeunterricht obligatorisch eingeführt. 1983 war auch das Jahr des offiziellen Luther-Jubiläums der DDR und in Wittenberg fand ein Kirchentag mit zahlreichen internationalen Gästen – vor allem natürlich auch aus der Bundesrepublik – statt. Die wohl bekannteste Aktion auf dem Kirchentag in Wittenberg war das symbolhafte Umschmieden eines Schwertes zu einem Pflugschar. Die Gruppen der Umwelt- und Friedensbewegung, die vor allem aus dem kirchlichen Umfeld kamen, traten zunehmend in die Öffentlichkeit.

Kurt Buchwald war nur zu Besuch in Wittenberg und wusste von all dem, was da passierte, nichts. Es war also keine in diesem Kontext geplante Aktion, sondern die Arbeit kann als sehr individuelle Reflexion persönlicher Erfahrungen des Künstlers gesehen werden. So wie zunehmend viele, vor allem junge Menschen, in den Kirchen Orientierung und Platz für Austausch suchten, fanden Künstler u. a. in christlichen Motiven Ausdrucksmöglichkeiten in einer sehr angespannten gesellschaftlichen und politischen Lage.

Berlin, August 2022

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