Künstlergespräch in der Stiftung Christliche Kunst Wittenberg anlässlich der Ausstellung „ … das Wasser war viel zu tief. 1000 Odysseen.“ Eine fotografische Spurensuche an den Ufern der Kapverdischen Inseln von Winfried Muthesius (stark gekürzte Fassung)
Christhard-Georg Neubert (CN): Lieber Winfried, schön, dass du da bist und dich unserem Gespräch widmest. Jahrgang 57, Studium in West-Berlin der Siebzigerjahre, da war viel los. Welche frühen Einflüsse haben dein Schaffen geprägt? Was hat dich in der Künstlerei angetrieben?
Winfried Muthesius (WM): Ich habe 1979 angefangen, an der HDK (Hochschule der Künste) in Berlin zu studieren, das durch die Mauer in West und Ost geteilt war; wir lebten in einer ganz anderen Epoche. In West-Berlin gab es den so genannten kritischen Realismus oder auch Neuen Realismus genannt. Wolfgang Petrick und Hans-Jürgen Diehl waren wichtige Vertreter. Damals, als ich studiert habe, waren beide auch Professoren an der Hochschule der Künste. Viele haben ganz ähnlich gearbeitet wie sie. Aber mich hat das nie interessiert. Auch die „Jungen Wilden“ waren nicht mein Fall. Was mich beeinflusst hat, waren völlig andere Positionen. Zum Beispiel jemand wie Fred Thieler. Ihn fand ich sehr stark, überzeugend. Er hat mich beeindruckt.
CN: Die Akademie vergibt ja bis heute den Fred-Thieler-Preis. WM: Genau, nicht umsonst. Gehen wir einen Schritt weiter zurück, so muss ich de Kooning nennen. Besonders die Serie mit seinen Frauenbildern finde ich großartig. Und noch weiter in der Vergangenheit, ist es z.B. Piet Mondrian, dessen Bilder mich faszinieren. Was mich auch geprägt hat, war Anfang der 80er Jahre mein Studienaufenthalt in Florenz an der Accademia di belle Arti. Dort habe ich die alten Meister für mich noch einmal ganz neu entdeckt. Tizian, Giorgione und andere haben mich ungemein begeistert und beeinflusst.
CN: Von der Farbgebung her, von der Art, etwas auf die Bildfläche zu bringen, das Atmosphärische, mit dem sie die Themen ins Bild setzten?
WM: Ja, ehrlich gesagt, nicht so sehr von den Themen, aber dieses Kolorit und dieses wahnsinnig sensible – wie soll ich sagen – Sfumato, das Changierende der Farbe, einfach fantastisch! Das Spätwerk von Tizian muss man einfach lieben. Das, was ich mache, ist natürlich nicht so, dass man erkennt, dass ich Fred Thieler verehre oder Piet Mondrian oder Tizian. Nein, ich mache etwas ganz anderes. Aber…
CN: Ja.
WM: …ich versuche schon, eine gewisse Farbigkeit aufzugreifen. Zum Beispiel geht es mir, wenn ich male, um eine total subtile Farbigkeit. Das Schwarz ist nie schwarz, sondern immer gemischt mit allem Möglichen. Auch wenn es Schwarz aussieht, spielen viele weitere Facetten eine Rolle. Und, was mir ganz wichtig ist, ich male keine abstrakten Bilder. In „1000 Odysseen“ sind Fotos ausgestellt, aber wenn ich male, und das mache ich in erster Linie, dann sehen die Bilder vordergründig abstrakt aus. Doch für mich sind sie es nicht. Sie haben alle einen Bezug zu etwas Realem in dieser Welt. Ich fühle mich eher als Realist.
CN: Tatsächlich leben wir gerade in einer Zeit bildnerischer Überflutung. Da stellt sich natürlich die Frage, ob es vielleicht an der Zeit ist für einen neuen Bildersturm? Also, statt Bildervielfalt Bildaskese?
WM: Dass die Welt, in der wir leben, überflutet wird von Bildern, steht völlig außer Frage; und deine Frage, ob es Zeit für einen neuen Bildersturm ist, gefällt mir sehr. Ich kann das in gewisser Weise nur bejahen. Ich stürme ja auf meine eigenen Bilder los und zerstöre sie immer wieder, zum Teil auch öffentlich. Aber das, was ich eigentlich seit meinem Studium betreibe, ist, dass ich versuche, die Formulierungen, die ich finde, immer weiter zu reduzieren. Das fängt mit meiner Zeichnerei an. Als ich angefangen habe zu studieren, habe ich mit Bleistift Aktzeichnungen mit endlos vielen Strichen gemacht. Das hat sich dann geändert. Irgendwann habe ich einfach einen Filzstift genommen und versucht, alles auf wenige Linien zu reduzieren. Anfangs geht das natürlich total schief und man sagt: Was sind das für komische Linien?
CN: Dabei denkt man gleich wieder an de Kooning.
WM: Damals habe ich dabei nicht an de Kooning gedacht, sonst hätte ich vermutlich sofort aufgehört. (Lacht.) Leider haben wir hier kein Skizzenbuch. Aber ich versuche, mich in meinen Skizzen auf wenige Linien zu reduzieren und komplexe Zusammenhänge mit ein paar Strichen aufs Blatt zu bringen. So, dass eine stimmige Formulierung entsteht. Dabei arbeite ich seriell. Nicht nur bei meinen Zeichnungen, sondern auch hier bei meinen Fotografien. Ich fokussiere mich dabei auf immer kleinere und noch kleinere Ausschnitte. Es ist, als wenn ich immer weiter in die Tiefe gehe, je intensiver ich mich mit dem Gegenstand beschäftige, je näher ich ihm komme.
CN: Ja, und trotzdem steht die Wahrheitsfrage im Raum. Du siehst, ich will dich nicht so schnell vom Haken lassen. Also, wie wahr sind deine Bilder?
WM: Was ist der Wahrheitsgehalt? Ich kann dazu nur sagen, dass ich beim Arbeiten versuche, immer ganz nah bei mir zu sein und ganz nah an dem, womit ich gerade arbeite und mich auseinandersetze. Das hat für mich einen hohen Wahrheitsgehalt. Mein Anspruch ist, nur das zu machen, wovon ich überzeugt bin. Was mich bewegt. Was sich bewegen müsste. Insofern sind meine Bilder auch ganz und gar wahr für mich.
CN: Das ist deine Wahrheit.
WM: Ja.
CN: Also, wie du – etwa in diesen Fotos – die Welt siehst, so ist sie für dich wahr.
WM: Einverstanden.
CN: Deine Wahrheit kommt im Verbund mit der Freiheit daher, wenn ich an deine Interventionen und Installationen mit golden fields denke. Nehmen wir etwa die spektakuläre Installation im Kriminalgericht Moabit in Berlin. Du gehst raus aus deinem Atelier und akzentuierst ungewöhnliche, unzugängliche, unwirtliche oder dunkle Orte durch deine Gold-Installationen mit glänzenden Lichtpunkten. Wie steht es mit der Freiheit der Kunst, wenn sie etwas ist, was du dir sozusagen nimmst, und was andere dir einräumen?
WM: Um das Projekt „free“ im Kriminalgericht Moabit habe ich mich lange bemüht. Ich würde mal sagen, gefühlte zehn Jahre. Es gab in diesem Prozess Ups und Downs. Die Erfahrungen, die ich hier gewinnen konnte, haben mir deutlich gezeigt, dass es immer die handelnden Personen sind, die etwas möglich machen können. So gelingen Projekte manchmal, manchmal aber auch nicht. Und was die Wirkkraft angeht: Die Möglichkeiten der Kunst sind sehr begrenzt, d. h. man darf nicht zu viel erwarten. In Anlehnung an ein bekanntes Picasso-Zitat gilt für mich: Ich finde nicht, ich suche nicht, ich sehe. Kunst kann ein Fenster öffnen und neue Räume erschließen und selbst im Dunklen Licht verbreiten. Man muss sich nur auf sie einlassen.
CN: Danke für das Gespräch!