Albrecht Henkys

Werke

Im Gespräch mit...

Ecce homines – ein Beeskower Bilderstreit?

Angesichts der permanenten medialen Bilderflut darf es schon als ein Glücksfall bezeichnet werden, wenn ein Kunstwerk engagierte und inhaltlich tiefe Diskussionen auszulösen vermag. Dies gilt erst recht für ein Bildthema, wie das des Altars Ecce homo von Hans Scheib und Erik Mai. Bereits im vergangenen Jahr als Teil einer Kunstinstallation im lichtdurchfluteten Chorraum der St. Marien Kirche zu Beeskow aufgestellt, bestimmt er auch noch jetzt die Hauptachse der kriegsbedingt völlig bilderlosen Backsteinkirche und setzt in der Anmutung eines schlichten gotischen Schnitzaltars einen Lichtpunkt im extrem hoch aufstrebenden, noch nicht wieder eingewölbten Kirchenraum. Dabei mag das Bildprogramm dieses Altars auf den ersten Blick überraschen: In der Mitte steht Christus, nackt, mit knappem rotem Umhang. Die Dornenkrone und seine gebundenen Hände verweisen auf die Marter. Dennoch tritt uns hier nicht der ikonografische Typus eines Schmerzensmanns gegenüber, ein Christus, der seine Wunden präsentiert und unser Mitfühlen herausfordert. Dieser Christus schaut die Welt. Sein Blick etwas traurig und voller Sorge, dabei weniger von Angst als von Güte bestimmt. Wissend um das kommende Leid hat dieser Christus es bereits überwunden. Rechts von ihm Barabbas, der am Leben bleiben darf; Strolch oder Terrorist, wer weiß es? Das Messer verbergend, wendet er sich ab. Dieser Mann sucht woanders sein Heil. Oder nimmt er es gar selbst in die Hand? Auf der linken Seite Judas: Seiner Schuld bewusst die Hände vors Gesicht geschlagen, das schmutzige Geld zu seinen Füßen, sieht er das Ende gekommen!

Schon im vergangenen Jahr mehr als nur Ausstellungsstück, sondern auch in gottesdienstliche Nutzung genommen, wurden innerhalb der Beeskower Kirchengemeinde unterschiedliche Meinungen laut, wie z. B. ob es denn schicklich sei, Barabbas, den Verbrecher, und gar Judas, den Verräter, neben den zwar gemarterten aber noch nicht gekreuzigten Christus auf den Altar zu heben? Oder andersherum: Was könnte uns das hier und heute zu sagen haben, schon gar in diesem noch vom letzten Weltkrieg so vernarbten Kirchenraum? So oder so, dieser Altar wurde in beiderlei möglicher Richtung als „ein starkes Stück“ empfunden. Einzelne befürchteten Gotteslästerung, andere lasen das biblische Heilsversprechen als Aufforderung auch zu weltlicher Verantwortung heraus; und was erstere als verstörend empfanden, interpretierten letztere vor dem Hintergrund des Zeit- und Weltgeschehens. Die einen hatten längst mit der kriegsbedingten Bilderlosigkeit ihrer Kirche abgeschlossen, die anderen – so brachte es ein Beeskower auf den Punkt – sahen mit dem Altar nicht nur das geistliche Zentrum ihrer Kirche, sondern gar das der ganzen Stadt wiederhergestellt. Allen darf man aber unterstellen, im Geiste ihrer Glaubensüberzeugungen zu argumentieren… Auch aus der Bürgergemeinde gab es Reaktionen, die in Bezug auf die Ästhetik und die aktuelle Ansprache des Kunstwerks durchweg zustimmender Natur waren.

Vielleicht geht es hier ja auch um viel mehr, als nur um das Für und Wider eines einzelnen Kunstwerks. Vielleicht geht es auch um die Funktion von Kunstwerken für die Ausstattung lutherischer Kirchenräume überhaupt, und um die Frage, ob „christliche Kunst“ nicht mehr ist als die bloße Illustration biblischer Inhalte. Wir sind es gewohnt, religiöse Kunstwerke aus vergangenen Jahrhunderten als kulturell gegeben hinzunehmen, wir schätzen sie und sind sogar stolz auf ihre künstlerische Qualität und Bedeutung. Oder wir belächeln großzügig die süßliche Einfalt mancher Erbauungsbilder. Aber leiden wir denn noch mit, wenn wir den geschundenen Körper Jesu Christi betrachten, und fühlen wir uns gemeint, wenn das Volk nach Kreuzigung ruft? Assoziieren wir mit Bildern wie dem von der Sturmstillung heute wirklich noch die Gewissheit, durch ein starkes Wort aus den Stürmen unserer Zeit errettet zu werden? Vermutlich nicht, so wenig wir diese Bildwerke ja auch anbeten würden! Vielleicht lieben wir all diese alten Bilder, aber nehmen wir ihre Fragen (oder Antworten?) mit hinaus in unser Alltagsleben…? Und da kommen dann plötzlich ganz heutige Künstler daher und heben diesen Judas auf einen Altar! Mehr noch: Sie drängen uns damit die Frage nach unserem täglichen Verrat an den eigenen Glaubensüberzeugungen auf! Sie zeigen das Messer in unserer Hand – oder sei es auch nur die geballte Faust in der Hosentasche – und geben dem gefangenen Christus ein wahrhaft menschliches Antlitz: Ganz ohne die gewohnte Distanz trifft uns sein Blick, dringlich und direkt.

Um der Debatte um diesen Altar noch einmal Zeit und Raum zu geben, kam es zum weisen Beschluss des Beeskower Gemeindekirchenrats, ihn für einen weiteren Sommer in St. Marien stehen zu lassen. Die GKR-Vorsitzende, Dr. Claudia Ludwig, äußerte sich dazu so: „Für mich hat das Altartriptychon ECCE HOMO tiefe theologische Bedeutung. Es ist der Inbegriff der Barmherzigkeit und der Liebe Christi zu allen Menschen. In der Mitte steht der künftige Richter, noch selbst gefangen und gefoltert, gerade noch nicht erhöht am Kreuz. Rechts und links von ihm nicht zwei namenlose Verbrecher, sondern Judas, der ihn für Geld ausgeliefert hat, und Barabbas, der um seinetwillen freigelassen wurde. Judas bereut seine Tat sichtlich und zutiefst, er hat den Platz an der rechten Seite von Jesus bekommen. Barabbas wurde freigelassen, ohne Prozess, ohne Gericht, einfach so. Er hat damit eine Chance bekommen auf ein besseres Leben, ohne Bestrafung für das, was er vielleicht getan hat. So stellt das Bild als Vor-Kreuzigungsszene die Gnade Gottes eindrucksvoll dar, ein Gericht im besten Sinne, nämlich dass wir recht gemacht werden, so wie wir sein können und sein sollen. Uns allen wird am Ende Vergebung zuteilwerden, da auch diesen beiden vergeben wurde.“

Fahren Sie nach Beeskow, liebe Leserinnen und Leser, und bilden sich selbst ein Urteil! Lassen Sie sich berühren von einem Kunstwerk, welches Sie vielleicht als wahrhaft christlich erleben, oder äußern Sie Ihre Kritik! Lassen Sie die Diskussion über Beeskow hinaus lebendig werden!

Albrecht Henkys (März 2025)

https://evangelisch-beeskow.de/informieren/offene-kirche/

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