Max Pechstein

Im Gespräch mit...

Gerd Presler

Max H. Pechstein : „Das Vater Unser“
Zwölf Holzschnitte aus dem Jahr 1921
      
          
Die erste maßgebliche Veröffentlichung zu Person und Werk des Malers und Graphikers Max Hermann Pechstein (1881-1955) erschien 1916. Dem vom Verlag R. Piper, München, herausgebrachten Band waren vier Farb-abbildungen und „vierundvierzig Netzätzungen nach Gemälden“ sowie „achtundfünfzig Strichätzungen“ im Text beigegeben – eine aufwendige, bibliophile Edition. Unter den Landschaften, Akten und Personenkompositionen fallen zwei Blätter auf, die neutestamentliche Themen darstellen: Eine Skizze erfaßt simultan Kreuzigung, Kreuzabnahme und Grablegung Christi (S. 37). Ein Holzschnitt „Heilige Familie“ (S. 76, Fechter H 110, 1913) versammelt und verdichtet  das weihnachtliche Geschehen (Lk. 2,7).

Eine weitere Veröffentlichungen, fünf Jahre später, nahm den angedeuteten Faden auf: Im Werkverzeichnis der Druckgraphik, von Paul Fechter herausgegeben, erschienen 1921 im Verlag Fritz Gurlitt, Berlin, findet sich auf  S.148 eine Zeichnung mit drei Männern an einen Tisch, umgeben von den Buchstaben „Vater Unser“. Offenbar liegt  hier die Keimzelle zu einer zwölfteiligen Folge, welche Pechstein im Sommer 1921 in Holz schnitt. Der Künstler stand damit in jenem breiteren Strom, der viele Menschen nach den Schrecken eines unfassbaren Krieges und seiner neuen Dimension der Vernichtung ergriffen hatte.  Die „Brücke“ – Expressionisten reagierten mit   druckgraphischen Werken von großer Einfachheit, äußerster Direktheit und tiefer Betroffenheit.  Karl Schmidt-Rottluff schuf 1919 die neunteilige Holzschnittfolge „Kristus-Mappe“; Otto Mueller lithographierte eine „Auffindung des Mose“; Erich Heckel hatte schon 1915 inmitten der Feuerstürme des 1. Weltkrieges das Gemälde „Madonna von Ostende“ geschaffen. Die für die Brücke-Graphik typische Kombination von Text und Bild führte  zu einer intensiven szenischen Zuordnung und einer so vorher nicht gekannten religiösen Ausdruckskraft der Sprache. Dieses neuartige und unmittelbare Mittel der Text-Bild-Kombination nutzte auch Max Pechstein:

Blatt I des „Vater Unser“ nimmt den Entwurf im Werkverzeichnis auf und betont: Vater unser. Blatt II zeigt den himmlischen Vater mit den Attributen des Weltenherrschers im Zeichen der Dreieinigkeit. Blatt III verdeutlicht die Heiligung seines Namens in vielstimmigem Chor. Blatt IV läßt drei Männer am Strand das Hereinbrechen des Willens Gottes szenisch erleben. Blatt V zentriert das tägliche Brot in der Abendmahlsgemeinschaft unter Einbe-ziehung der neutestamentlichen Speisungsgeschichten im Hinweis auf Brot und Fisch (Mk. 6, par. Mk. 8 par.) Blatt VI gestaltet Gott als den, der dem Schuldiggewordenen vergibt. Auf Blatt VII versöhnt sich ein Betroffener mit seinem Schuldner in hingebungs- und liebevoller Geste. Versuchung (Blatt VIII) stellt sich dem Künstler als  Verführung der Frau durch den Mann dar. Hier kann Pechstein den Formenreichtum und die strenge kompositorische Konsequenz expressionistischer Erfahrungen mit der Linie und der Fläche an dem „in freier Natur“ entstandenen Akt zeigen. Im Hintergrund ist eine afrikanische Plastik  zu sehen, Ausgangsort des graphischen Formenkanons ohne Beachtung der raumschaffende Perspektive. Erlösung  (Blatt IX) ist für Pechstein mit dem Tod verbunden: Im Angesicht des 1. Weltkrieges eine verständliche Version, die die Abkehr vom Leben, nicht die Hinkehr zu ihm betont. Das Reich Gottes (Blatt X) umfaßt den Menschen und die Tiere des Himmels, der Erde und des Wassers (Vögel, Kuh, Fisch). Blatt XI nimmt das Motiv des himmlischen Vaters von Blatt II auf, ergänzt durch die Kraft und die Herrlichkeit seiner Leben stiftenden Zuwendung , bis Gott (Blatt XII) seine schützende Hand ausstreckt über alle Räume und alle Zeiten.

Ein dreizehntes, nicht in die Mappe aufgenommenes Blatt liegt nur in einem Exemplar vor. Es zeigt eine zweite Version des Titels, diesmal nicht in einer streng gebauten Dreiergruppe (Blatt I). Stattdessen umkreisen die Buchstaben des „Vater Unser“ ein ausdrucksstarkes Porträt, das an die „Fischerköpfe“ erinnert, die Pechstein ebenfalls im Jahre 1921 in Holz schnitt.

Die zwölfteilige Mappe „Das Vater Unser“ von Max H. Pechstein hat bisher in der theologischen und  didak-tischen Erschließung von Mt. 6, 9-15 wenig Beachtung gefunden. In erster Linie handelt es sich bei diesen imponierenden Blättern um ein künstlerisches Sprachereignis. Es enthält darüber hinaus interpretatorische Ansätze: „Als … Nachwirkung des Krieges äußert sich im „Vater Unser“ eine aus Naturverbundenheit und altem … Glaubensgut aufkeimende Religiosität.“ (Günter Krüger, 1972) Der Künstler selbst äußerte 1928 auf einer „Sprechplatte“, der ersten, die von einem deutschen Maler existiert: „Hauptgrund [der künstlerischen Arbeit] war das innere Erleben des Kosmos und die heiße Sehnsucht, ihn in seinen Wesensteilen durch den Schmelzofen im Künstler in seiner Größe und Einfachheit neu zu schaffen … In der Welt steht der Mensch. Mann, Weib, alles um sie herum bedroht sie, und sie selbst bekämpfen sich, schaffen sich dabei doch neu.“ Im theologisch-exegetischen Bereich kann das „Vater Unser“ in der gestalterischen Bearbeitung von Max Hermann Pechstein kaum einen bisher unbeachtet gebliebenen Ansatz vermitteln. Als didaktisches Material aber ermöglicht der kraftvolle Holzschnitt in der von diesem expressionistischen Künstler gefundenen Form einen lange nicht genutzten Zugang.

Gerd Presler, Sprachereignis in der Kunst. Max Pechsteins Holzschnitte zum „Vater unser“
Evangelische Kommentare, Monatszeitschrift zum Zeitgeschehen in Kirche und Gesellschaft, März 1997, Nr. 3, 30. Jahrgang, S. 170f.

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