Drei Fragen an Denise Richardt„Invisibilia“ – die unsichtbaren Dinge, so lautete der Titel eines 
künstlerischen Projektes, das im Juli 2015 in der Parochialkirche Berlin
 eröffnet wurde. Die Malerin Denise Richardts hatte zu vier Teilen der 
Es-Dur-Messe von Josef Gabriel Rheinberger (op. 109), die dort erklang, 
Gemälde geschaffen: Kyrie, Gloria, Credo und Agnus Dei. Auch andere 
Werke von Denise Richardt tragen Titel, die die christliche Tradition 
aufrufen, z. B. Zuversicht (2009), Il trionfo Della Divina Provvidenza 
(2007), Gethsemane (2019). Grund genug, die Künstlerin in ihrem Atelier 
in Berlin zu besuchen.
                „Invisibilia“ – die unsichtbaren Dinge, ist 
dieser Titel nicht ein gewisser Widerspruch zu den Ergebnissen ihrer 
malerischen Auseinandersetzung mit klassischen Teilen des 
Messgottesdienstes, die ja sehr wohl zu sehen sind?
                Also, da muss ich weiter ausholen. Der Ursprung 
dieses Projekts war tatsächlich der Raum der Parochialkirche, in dem man
 sich geborgen fühlt. Und das hat etwas mit Unsichtbarkeit zu tun. Dann 
habe ich eine gute Freundin, die Chorleiterin ist, und die auch die 
Aufführung der Rheinberger-Messe geleitet hat. Wir kamen über das 
Unsichtbare in der Kunst ins Gespräch. Ich bin der Meinung, auch in der 
Malerei geht es um das Unsichtbare, wie in der Musik. Die Version, die 
sich in einem Bild niederschlägt, ist nicht einfach das Sichtbare, nicht
 das Abbildhafte. Beides ist Interpretation. Und es gibt viele 
Parallelen: Klang bzw. Farbklang, Harmonie, Rhythmus, Dynamik – das sind
 alles Begriffe, die sowohl Malerinnen als auch Musikerinnen benutzen. 
Schließlich habe ich drei Tage die Kamera mitlaufen lassen. Denn auch 
die im Video geraffte und so sichtbar werdende Bewegung des Lichts, das 
von außen einfällt, bekommen wir ja sonst nicht mit. Es ging um den 
Aspekt des Unsichtbaren in diversen Künsten.
 
 
War das Ergebnis am Ende nicht doch zu harmonisch, zu schön?
Dass die Musik von Rheinberger natürlich schön ist, ja gut. Das darf 
Kunst. Kunst darf schön sein. Aber ich empfand es jetzt nicht so, dass 
versucht wurde, dasjenige weg zu polieren, was an Verletzung, Wunde oder
 Geschichte da ist. Sondern es war darin enthalten. Die Parochialkirche 
ist ja ein versehrter Ort. Als ich mich mit ihr beschäftigte, habe ich 
noch Fotos im Internet gefunden, die zeigen, wie sie nach dem Krieg 
aussah.
                  Auch das Kreuz, das von Fritz Kühn aus Metallteilen 
geschweißt wurde, die er in den Ruinen der zerbombten Stadt gefunden 
hatte, ist ja nicht zufällig da.
Die Gemälde, die für das Projekt entstanden, zeigen auf den ersten 
Blick Landschaftsausschnitte. Auch sonst malen Sie Landschaften. Wie 
sind Sie dazu gekommen und verstehen Sie sich als Landschaftsmalerin?
 Ich bin ganz klassisch durch alle Aufgaben gegangen, die einem in so im 
Studium gestellt werden: Porträt, Akt, Figur, Stadt. Das habe ich alles 
gemacht. Und dann war da irgendwann die Frage: Was ist das Eigene? Ich 
habe mich nicht so ganz gut gefühlt, damals, in diesen Ateliers.
                  Ich bin oft geflohen, war dann draußen in der Umgebung
 Berlins und habe irgendwann festgestellt: Ich fühle mich hier total 
wohl, mir gefällt es.
                  Und vor allem: Ich kann dort draußen das am besten 
umsetzen, was mich an der Malerei interessiert, nämlich: Farbe, Form, 
Linie, Vordergrund, Hintergrund. Mir waren die anderen klassischen 
Themen zu sehr inhaltlich belastet. Eigentlich habe ich die Landschaft 
als das abstraktere Thema empfunden. Und dort ist es auch, wo man zu 
sich selbst findet. Sie sehen zu können, geht ja nur, wenn ich mich 
selbst wahrnehme; wenn ich mich als Individuum betrachte und definiere. 
Dann kann ich auch das Gegenüber als Gegenüber erkennen. Und jeder von 
uns hat eine innere Landschaft, aus der er stammt. Aber ich möchte nicht
 gern als Landschaftsmalerin bezeichnet werden. Ich sage immer: Ich 
male. Punkt. Es geht tatsächlich ums Malen. Es geht um Aspekte, die 
Landschaft uns anbietet. Da fangen dann auch die Farben und die Formen 
an, sich vom Inhaltlichen zu lösen. Es fängt an zu kreisen, das Auge 
wandert. Und die Farbe, das entspricht meiner Auffassung, ist befreit 
von dieser Verpflichtung, irgendwas abbilden zu müssen.
Für mich stellt Ihre Arbeit „Gethsemane“ ein Schlüsselbild dar. Da kann man sehen, wie Sie die Farbschichten setzen. Auch hat es eine starke Geschlossenheit. 
Gethsemane war für mich erstmal ein Garten, eine nächtliche Szene. Es ist menschliches Terrain, es ist nicht Wildnis. Und ich wollte einen Bildraum erzeugen, der sich erst nach und nach öffnet. Er wirkt erst einmal unheimlich hermetisch, so wie man ja manchmal auch Dunkelheit empfinden kann. Man ist plötzlich ins Dunkle geworfen und sieht erstmal gar nichts. Und plötzlich dimmt sich das Auge ein und es öffnet sich etwas – und dann eröffnet sich sogar Schönheit. Also, Gethsemane ist ja eigentlich der tragische Moment, wo jemand begreift, dass da eine riesige Aufgabe auf ihn zukommt, die eigentlich zu groß für ihn ist und die er am liebsten nicht haben möchte. Gethsemane – das ist ein Ort des Verlassen-Seins und der Überforderung, der aber auch gekoppelt ist mit Schönheit. Das war für mich der Antrieb. 
Die Bildidee, sie ist zuerst da?
Ja, das ist sie. Ich möchte ein dunkles Bild machen, wo es viele Transparenzen gibt. Wo der Bildraum sich ganz langsam öffnet, wo man lange guckt, lange gucken muss. Und wo man dann hindurch kommt.
Nun finden sich noch andere Bildtitel in ihrem Werk, die biblische und christliche Traditionen aufrufen. Wie kommt das?
Die Erklärung dafür ist: Ich war eine ganze Weile in Italien. Da kam ich natürlich nicht an dieser barocken Kirchenmalerei vorbei und habe mir ganz viel angeschaut. Von einer nordeuropäischen Landschaftsmalerei herkommend, die ja protestantisch geprägt ist, habe ich das alles aufgesaugt: die ganz anderen Bildkonzepte, den ganzen Bombast, dieses Zentrifugale – also die Deckengemälde, die nach allen Seiten auseinandersprengen, die Spiralen – ganz andere malerische Konzepte. Und das hat mich enorm fasziniert und war für mich wichtig. Da sind auch bei mir die Bildräume mehr in Bewegung geraten; weg von diesem Statischen. Und dann habe ich mir manche Titel geliehen. Es geht gar nicht wortwörtlich um das, was einmal damit bezeichnet wurde, sondern meine Titel sind in einem metaphorischen Sinn gemeint. Also, ich meine jetzt nicht wirklich den „Triumph der göttlichen Vorhersehung“, sondern mir gefielen der Überschwang und die Bewegtheit in diesem Motiv, dieser Anspruch. Das fand ich schon beeindruckend.
 
Eine Frage noch, die mit dem Namen unserer Stiftung zusammenhängt: Christliche Kunst – können Sie mit diesem Begriff etwas anfangen? 
Also christliche Kunst, das gibt es heute nicht mehr. Der vor kurzem verstorbene Hans Belting hat das in seinem Buch „Bild und Kult“ (München 2020) gut beschrieben. Ein Bild ist heute nicht mehr Kult, ein Bild ist heute Kunst, und das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Kult heißt, ein Bild ist ein Symbol. Wenn ich die Maria male, dann meine ich sie auch. Und dann ist sie für mich anwesend. Kunst heute ist deutlich vielschichtiger. Da kommt auch der Betrachter mit hinein.  Man kann als Maler Christ sein oder ein gläubiger Mensch, aber christliche Kunst in dem Sinne, gibt es nicht. Ich glaube an die Kunst. Damit meine ich, dass für viele heute die Kunst das ist, was früher Religion war. Weil nämlich da die Themen behandelt werden, um die es geht und die wahrscheinlich jeder Mensch irgendwann mal durchlaufen muss. 
Liebe Frau Richardt, herzlichen Dank für das Gespräch.
Denise Richardt (geb. 1972 in Berlin, 1993-1998 Studium der Malerei/Freien Kunst an der Kunsthochschule Berlin (KHB), 1997 Studium an der Akademie der Bildenden Künste Wien, 1998 Aufenthaltsstipendium in Frankreich, 1999 Meisterschülerin an der KHB bei Prof. Dieter Goltzsche, 2002-2004 Arbeitsaufenthalt in Rom, zahlreiche Ausstellungen, lebt und arbeitet in Berlin.
Das Gespräch im Atelier führten Hanna Kasparick und Jörg Sandau im Februar 2023.